Verleger Jochen Jung: "Ich fürchte mich nicht" Interview | Stefan Gmünder, 9. Juni 2013, 10:00
"Für mich ist Schreiben etwas Lustvolles und Beglückendes": Jochen Jung.
Alles, was von Bedeutung ist, muss Widerstand hervorrufen: Über den Buchmarkt und das Schreiben
STANDARD: Obwohl allenthalben moniert wird, Verlage würden das E-Book unterschätzen, gehören Sie als Verleger nicht zu den Kritikern des Elektrobuches.
Jung: Man muss da zwischen dem Buchhandel und den Verlagen unterscheiden. Für Letztere ist das Problem nicht gravierend, solange sie konsequent ihre gewohnte Arbeit machen, die in erster Line aus dem Auswählen und Vertreiben besteht. Ob das nun auf Papier oder elektronisch geschieht, ist im Prinzip zweitrangig.
Aber natürlich sind wir nach wie vor auf den Buchhandel angewiesen, weil er - bis jetzt - unser Hauptvermittler ist. Und der tut sich schwer, inklusive der großen Ketten, die sich noch vor zehn Jahren große Flächen zugelegt haben, die sie jetzt wieder loswerden wollen.
Der stationäre Buchhandel hat aber nicht nur des E-Books wegen Probleme, und ich bin nicht sehr optimistisch, dass die sich leicht lösen lassen. Die jetzt anlaufende "Buy Local"-Aktion, die andere Branchen auch schon ausprobiert haben, ist zwar liebenswürdig, ich glaube aber nicht, dass sich das Publikum und dessen Kaufverhalten dadurch sehr beeinflussen lassen.
Es wird nun einmal immer mehr online gekauft, was zeigt, dass das In-die-Stadt-gehen-und-etwas-kaufen-Wollen nicht mehr denselben Lustfaktor wie früher hat.
STANDARD: Ist es nicht so, dass sich der Buchmarkt immer stärker auf wenige Bestseller aus wenigen Verlagen fokussiert?
Jung: Ich glaube, dass sich an unserer Situation nicht so viel geändert hat. Auch bisher haben bestimmte Verlage die großen Brummer produziert. An diesem Teil des Marktes haben wir sowieso nie teilhaben können, der hat sich immer schon woanders abgespielt. Das war aber auch der Teil, der dafür sorgt, dass der Buchhandel überhaupt existieren kann.
Der Buchhandel hat ja einen verminderten Mehrwertsteuersatz vom Gesetzgeber bekommen, weil er Kulturvermittler ist, aber er lebt natürlich von der Unkultur, der Nicht-Kultur. Wir Kulturbesessenen müssen also froh sein, dass es diesen anderen Teil gibt.
Was unseren Verlag betrifft, so haben wir ein ziemlich entschlossenes Publikum, das Bücher möchte, in denen die Sprache ein zentrales Element ist. Unsere Leser ersetzen unsere Bücher nicht durch Dan Brown oder Ähnliches. Insofern sehe ich da keine Konkurrenz und fürchte mich nicht.
STANDARD: Im Folder Ihres zusammen mit Klaus Seufer-Wasserthal und Christa Gürtler organisierten Literaturfestes Salzburg, das vor zwei Wochen über die Bühne ging, schreiben Sie, die deutschsprachige Literatur zeichne sich nicht unbedingt durch Risikofreude aus.
Jung: Ich beobachte, dass die Autoren zu einem großen Teil versuchen, nachvollziehbare Geschichten zu erzählen. Und immer, wenn jemand über ein Buch spricht, heißt es: "Das ist die Geschichte von ..." Es müssen also Geschichten sein, kohärent erzählte Abläufe mit Figuren und Schauplätzen ganz klassischer Art. Das ist ein konventionelles Biotop, innerhalb dessen man viel bewegen und Meinung transportieren kann, aber mit literarischem Risiko hat das selten etwas zu tun.
Wenn wir immer noch der Meinung sind, dass die Form der Literatur das trägt und widerspiegelt, was erzählt werden soll, dann ist das konventionelle Erzählen etwas, das sich eben in gängigen Vorstellungen von dem abspielt, was in, zwischen und mit Menschen passiert.
STANDARD: Wie meinen Sie das?
Jung: Wenn man auf Erkundungsreise danach gehen möchte, was in uns verborgen ist, danach, was hinter dem Sichtbaren steht, und etwa der Frage nachgehen will, warum sich bestimmte gesellschaftliche Formen verändern, zum Beispiel die Zweierbeziehung, oder warum sich Familienstrukturen so dramatisch aufgelöst haben, glaube ich, dass man mit Geschichten, die den Ist-Zustand einfach abschildern, nicht weit kommt. Man kann daraus nur selten etwas lernen, das sich nicht auch mittels einer konzentrierten Zeitungslektüre erfahren ließe.
Wenn man aber darüber hinaus etwas davon mitbekommen will, was Beziehung heute überhaupt noch heißt, glaube ich, dass die Syntax ein Modell ist, mit dem sich gut zeigen lässt, wie Dinge zerbrechen oder sich auflösen. Bedeuten würde das einen freieren und souveräneren Umgang mit Sprache und Fantasie. Das hatten wir ja vor einem halben Jahrhundert einmal, in den 1950er- und 60er-Jahren gab es eine sehr wichtige Literatur - mit der Wiener Gruppe als prominentestem österreichischen Beispiel -, die uns solche Literatur vorführte. Aber die ist ziemlich untergegangen.
Allerdings habe ich das Gefühl, dass es jüngere Autoren gibt, die wieder Neues probieren. Sie wollen etwas abbilden, etwas zeigen, aber sie machen das immer häufiger nicht in durcherzählten Geschichten, sondern indem sie die Elemente, welche die Sprache ihnen anbietet, und die Lebensrealitäten derart kombinieren, dass plötzlich andere Bezüge deutlich werden und man einen ungewohnten Blick auf Dinge lernt, wie man ihn im Alltag normalerweise nicht praktiziert.
STANDARD: Oft wird im Feuilleton kritisiert, die deutschsprachige Literatur sei zu wenig welthaltig. Ist sie zu verkopft?
Jung: Im Gegenteil, eher zu nett. Die vitalere Schärfe liegt heute oft in den Sachbüchern, es gibt ja welche über politische Zustände - beispielsweise die Mafia in Italien -, die sich staunenswert durch Mut und Direktheit auszeichnen. Vielleicht traut sich die Literatur zu wenig, aus dem Kreis des Bekannten und dem, was man selber lebt, hinauszugehen.
Wir leben in einer Zeit, in der es Kriege und dramatische wirtschaftliche Veränderungen gibt, die vollkommen ungelöst sind. Wir haben ein totales Fehlen verbindlicher Ideologien, an die man glauben könnte. Das alles gibt es nicht mehr, und gleichzeitig werden unentwegt Bücher geschrieben, in denen darüber nachgedacht wird, ob die Großeltern mit in der Familie wohnen sollen, oder die Frau einen Halb- oder Dreivierteltagsjob annehmen soll.
Ich übertreibe natürlich, und all diese Dinge sind auch wichtig, man darf von ihnen erzählen, sie bleiben aber in dem überschaubaren Umfeld von Menschen, für die sich die restliche Welt im Fernsehen abspielt. Ein bisschen von dieser Haltung ist bei einem Großteil unserer Literatur zu beobachten.
STANDARD: Sie sind selbst auch Autor, gerade erschien bei Haymon Ihre Erzählung "Wolkenherz". Wie halten Sie es mit dem Schreiben?
Jung: Ich kann nur für mich sprechen, aber ich würde den Bleistift gar nicht in die Hand nehmen, wenn es eine Quälerei für mich wäre. Für mich ist Schreiben etwas Lustvolles und Beglückendes. Natürlich wünscht man sich, dass man dieses Gefühl in den Text hineinbringen und an den Leser weitergeben kann. Ich möchte nicht, dass sich Lesende mit meinen Texten quälen. Aber da ich nur wenige Leser habe, brauche ich mich nicht zu fürchten, und die paar, die ich habe, unterhalten sich, glaube ich, ganz gut.
STANDARD: Das Leser-Interesse konzentriert sich auf immer weniger Bücher.
Jung: Das ist leider eine korrekte, deprimierende Beobachtung. Es gibt im deutschen Buchmarkt pro Jahr knapp 100.000 neue Bücher. Und wir wissen, dass es pro Halbjahr nur wenige Hundert Bücher schaffen, prominent in den Auslagen oder auf den Tischen von Buchhandlungen präsentiert zu werden.
Offenbar gibt es einen schwer zu durchschauenden Mechanismus, der zu einer Auswahl führt, über die sich erstaunlich viele am Literaturbetrieb Beteiligte wie Rezensenten, Buchhändler etc. rasch einig sind. Man verständigt sich sehr schnell auf bestimmte Namen. Wir sind entsetzlich promigeil geworden, der Name zählt immer häufiger mehr als der Inhalt des Buches.
Ich glaube, dass der Aufmerksamkeitsfokus viel enger geworden ist und es sich die Buchhändler kaum mehr leisten, auf Bücher hinzuweisen, die man in anderen Buchhandlungen nicht findet. Aber natürlich verallgemeinere ich.
STANDARD: Veranstaltungen wie das Literaturfest Salzburg sind immer auch Events. Eine Gratwanderung?
Jung: Natürlich würde ich am liebsten ein noch viel riskanteres Festival erfinden. Aber es ist klar, dass man sein Publikum im Auge behalten soll. Dazu kann man nicht völlig an den Wünschen und Erwartungen der Leserschaft vorbeiinszenieren, und man will natürlich auch die Autorinnen und Autoren, die in der Saison gefragt sind oder besprochen werden, dabei haben. Insofern nähern wir uns ein wenig der Situation des Buchhandels oder der Medien an.
Man will dem Publikum allzu gern entgegenkommen. Aber an sich ist Literatur, die einen Charakter hat, immer etwas, das in einzelnen Lesern besondere Leidenschaft erzeugen soll. Das bedeutet zugleich, dass sie bei anderen Abwehr bewirkt. Alles, was von Bedeutung ist, muss auch Gegnerschaft hervorrufen und Widerstand erzeugen. (Stefan Gmünder, Album, DER STANDARD, 8./9.6.2013)
Jochen Jung, geboren 1942 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik und Kunstgeschichte in München, Tübingen, Zürich und Berlin. 1975 bis 2000 arbeitete er beim Salzburger Residenzverlag, bis 1983 als Lektor, anschließend als Geschäftsführer. Nach der Entlassung beim Residenzverlag gründete er im Jahr 2000 den Jung und Jung Verlag. Zwei seiner Autorinnen (Ursula Krechel und Melinda Nadj Abonji) gewannen seither den renommierten Deutschen Buchpreis.
Ein Autor ist ein Mensch, der seiner Fantasie ein Gesicht verleiht.