Beitrag von Jo Lendle (küftiger Chef des hanser Verlags)
Wie sieht der Verlag der Zukunft aus? Darüber hat sich Jo Lendle in einem kurzen Vortrag auf der LiteraturFutur Gedanken gemacht. Mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlichen wir den Text hier im literaturcafe.de.
Jo Lendle wird ab 2014 verlegerischer Geschäftsführer der Hanser Literaturverlage. Lendle (Jahrgang 1968) wird der Nachfolger von Michael Krüger (Jahrgang 1943) sein. Zuvor war Jo Lendle Verleger beim DuMont-Buchverlag, bei dem er zunächst als Lektor begann. Außerdem ist Lendle selbst Autor.
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Einen schönen guten Tag. Ich wurde eingeladen, meine Einschätzung zu dem vielversprechenden prophetischen Thema »Der Verlag von morgen« zu geben. Meine erste Reaktion: Das ist leicht. Das beantworte ich mit einem persönlichen Statement: Mein »Verlag von morgen« heißt Hanser. – Fertig. Vielen Dank fürs Kommen.
Aber es geht natürlich auch unpersönlich. Wie sieht, ganz allgemein, der Verlag von morgen aus. – Das wüsste ich auch gerne. Aber ich will versuchen, mir so aufrichtig wie möglich Gedanken dazu zu machen – aus der Perspektive des Autors und aus der des Verlags – auf die Gefahr hin, mir dabei selbst auf den Verlegerschlips zu treten. (…)
Es wird in Zukunft zwei Verlage geben. (…) Neben dem bisherigen Modell etwas, das noch im Aufbau begriffen ist: Das Neue, Unbekannte, die Zukunft. Ob die traditionellen Verlage sich den neuen Gegebenheiten anpassen, wird Gegenstand unserer Diskussion sein.
Bevor wir fragen, was der Verlag von morgen sein könnte, sollten wir daher zunächst fragen, was denn der Verlag von heute ist. Was stellt so ein Verlag eigentlich an? Weil wir in Hildesheim sind, wo ich vor langer Zeit Kulturvermittlung studiert habe, läge die Vermutung nahe, dass das, was Verlage machen, Kulturvermittlung sei.
Ich glaube das nicht. Vermittlung setzt voraus, dass es etwas Abgeschlossenes gibt, etwas Fertiges. Das ist bei Büchern nicht ganz so. Ich sehe die Gegenwart der Verlage deshalb anders. Der Verlag von heute greift ein. Er ist Teil des Geschehens. – Der Verlag von heute hat zehn Aufgaben:
Autoren finden Vorschüsse zahlen (der Verlag geht in Vorlage – daher sein Name) Texte bearbeiten Ihnen eine Gestalt geben Bücher vertreiben Aufmerksamkeit gewinnen (mit Marketing, Presse, Veranstaltungen) Lizenzen verkaufen Zusammenhalten (ggf. auch juristisch) Den Aufbau eines Werkes begleiten
Eine zehnte Qualität, die ein Verlag seinem Autor bietet, ließe sich umschreiben mit: Dazugehören, unter seine Fittiche nehmen. Ins Programm aufgenommen werden. Teil des Verlages sein. Ein Aura-Transfer, in jeder denkbaren Richtung. Schwer zu definieren. Das ist der elitäre, der esoterische Teil, mit allem Für und Wider. Der Clubgedanke. Die Distinktion. Der Teil, neben anderen, für den Verlage heute in Frage gestellt werden.
Dies halte ich für die Aufgaben, die ein Verlag zu erfüllen hat. Eine vor wenigen Wochen veröffentlichte Umfrage der Gewerkschaft Verdi behauptet: Ein gutes Drittel der deutschen Autoren ist unzufrieden mit ihrem Verlag. Die Hauptvorwürfe: Warum zahlt ihr so wenig? Warum macht ihr so wenig?
Den Verlag von heute erreichen also zwei Stimmen. Von außen: Ihr lasst mich nicht rein. Von innen: Lasst mich raus, ich kann es besser. Es gibt jemanden, der die Autoren aus dieser Not befreien könnte: die Autoren selbst. Der Verlag von morgen wird deshalb ein Verlag sein, den es bereits gibt: Der Selbstverlag. Auch wenn er sich komplett anders anfühlen wird als ein Selbstverlag, wie wir ihn kannten.
(…) Waren Selbstverlage nicht von gestern? Um genau zu sein: so was von gestern? Aber heute stehen Produktions- und Distributionsmittel zur Verfügung, von denen sie gestern nichts als träumen konnten. Zwar standen auch für Bücher aus Papier die Produktionsmittel längst zur Verfügung. Aber Aufmerksamkeit ließ sich kaum gewinnen, und in die Läden kommt man damit einfach nicht.
Im digitalen Schlaraffenland sind diese Sorgen ausgeräumt. Seit das Umblättern vom Wischen abgelöst wird – und seitdem das Publikum ausreichend mit Lesegeräten versorgt ist – sitzt der Autor seinem Leser förmlich auf dem Schoß, so direkt ist der Kontakt.
In dieser Welt ist jeder Autor sein eigener Lektor, Setzer, Gestalter, Booker, Marketingchef, womöglich sogar sein eigener Rezensent – oder er kauft sich diese Fertigkeiten dazu. In die Läden kommt man nun ohne jede Hürde. Nur heißen sie inzwischen Plattformen.
Was geschieht nun im Selbstverlag mit unserer Aufgabenliste? Je nach Vermögen, Finanzen, Kontakten weicht das etwas ab, aber die meisten Komponenten werden baukastenartig auf dem freien Markt zu buchen sein. Das Finden von Autoren entfällt Vorschuss entfällt leider auch Das Verbessern der Texte lässt sich zukaufen, wenn einem daran liegt Die Gestalt lässt sich zukaufen Der Vertrieb läuft über die digitalen Plattformen Aufmerksamkeit gewinnt man selbst Der Verkauf von Lizenzen entfällt in der Regel Das Zusammenstehen entfällt Der Aufbau eines Werks geschieht in Eigenleistung Auch der Clubgedanke entfällt
Ist das nun gut oder schlecht? Darum geht es nicht. So wenig, wie E-Books gut oder schlecht sind. Sie sind vor allem da, wie ein neuer Mitbewohner. (…) Wie aber soll ein Verlag von heute sich dazu verhalten? Warum springt er nicht selbst auf und wird zu einem Verlag von morgen?
Von Clay Shirky, einem amerikanischen Internetdenker (falls Internetdenker eine Berufsbezeichnung ist) stammt das – praktischerweise nach ihm benannte – Shirky Principle: „Institutionen versuchen das Problem zu bewahren, für das sie die Lösung sind.” Als Autor neige ich zu der Einschätzung, das treffe auch auf Verlage zu. Als Verleger weise ich die Idee weit von mir.
Der heutige Verlag wird kein Verlag von morgen. Aus Unbeweglichkeit. Und, so romantisch und naiv das klingt, weil er an etwas anderes glaubt. An Zusammenrottung, an Gemeinsamkeit. An Auswahl. Verlage sind stolz auf diese Filterfunktion. Das macht sie nicht sympathischer. Die Orientierung erleichtert es trotzdem.
Fazit: Verlage sind schon heute definitiv nicht mehr nötig. Autoren können ab sofort auswählen – und dabei womöglich die Vorteile der Arbeitsteilung erkennen. Verlage verlieren durch diese Wahlmöglichkeit ihr Türhütermonopol und werden zu Edel-Dienstleistern. Wir werden uns anstrengen müssen.
Ein Autor ist ein Mensch, der seiner Fantasie ein Gesicht verleiht.