Jeden ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten die Romane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben.
1 (-) Patrícia Melo: Leichendieb Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita, Tropen, 208 S., 18,95 €.
Corumbá, Grenze Brasilien/Bolivien. Dem namenlosen Icherzähler dieser moralischen Groteske fällt beim Angeln ein Flugzeug vor die Füße. Darin der sterbende Sohn eines reichen Viehzüchters und ein Kilo Koks. Welch ein Glück! Der Angler beginnt zu handeln: mit Stoff, mit Leichen, mit Zukunft. Melo ist Extraklasse.
2 (3) Robert Hültner: Am Ende des Tages btb, 320 S., 19,99 €. München/Thalbach/Chiemgau um 1929.
Die Nazis scheinen abgeschlagen, Kajetan könnte zurück zur Polizei. Noch klärt er einen Justizirrtum auf, da kollidiert er mit der Politik. Ein Flugzeug mit übler Konterbande ist abgestürzt. Bayern tappst in Richtung Ende. Historisch gewiefte, sprachlich ausgefeilte Krimikunst.
3 (4) Olen Steinhauer: Die Spinne Aus dem Englischen von Friedrich Mader, Heyne, 492 S., 16,99 €.
New York/Peking/Welt. Milo Weaver, Überlebender der ultrageheimen "Touristen"-Abteilung, will nur noch Familie. Aber ein Ex-Chef und sein chinesischer Gegenspieler setzen auf Rache. Steinhauer spielt meisterhaft die pazifische Karte. So sieht der Politthriller von morgen aus: weltumspannend, komplex, rasant.
4 (7) Daniel Suarez: Kill Decision Aus dem Englischen von Cornelia Hohlfelder- von der Tann, Rowohlt, 496 S., 12,99 € .
Autonome Drohnen radieren amerikanische Städte, Schiffe und Softwaregenies aus. Ameisenforscherin McKinney und Spezialagent Odin mitsamt helfenden Raben leisten Bond-mäßig Widerstand gegen Cyberwar und militärisch-industriellen Komplex. Science-Fiction? No, Sir: Verschärfte Realität.
5 (1) Sara Gran: Das Ende der Welt Aus dem Englischen von Eva Bonné, Droemer, 368 S., 14,99 €.
San Francisco/Brooklyn. Fünf Gitarren, ein Pokerchip, Schlüssel – schwache Hinweise auf den Mörder von Paul, Claire de Witts Exgeliebten. Prekäre Autonomie der Detektivin: Claire zerstört sich fast auf der Suche nach Wahrheit, nach dem Kindertraum, geliebt zu werden. Kaliforniens Norden: kalt und hip. Gran fasziniert.
6 (2) Giancarlo de Cataldo: Der König von Rom Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl , Folio, 176 S., 19,90 €.
Rom 1976. Machtvakuum in der Hauptstadt. Nicht die Camorra, nicht die Marseiller, keiner hat die volle Kontrolle. Junggangster Libano am Scheideweg: Mit Giada, der bourgeoisen Revoluzzerin, in die Boheme oder mit Gewalt ans große Geld? Libano lernt Verbrechen. Ruppiges Vorspiel zu Romanzo Criminale.
7 (-) Giampaolo Simi: Vater. Mörder. Kind. A. d. Ital. v. Anja Nattefort, C. Bertelsmann, 304 S., 19,99 €.
Toskana. Furio Guerri hat zwei Leben: Als Vater und Ehemann ist er aufstrebender Handelsvertreter. Wie und wozu er Monster wurde, weiß nur Furio genau. Simi nutzt die Doppel-Ich- Perspektive seines alles kontrollieren wollenden Erzählers, um tief in die Windungen kleinbürgerlichen Wahns zu dringen.
Fleurville. Seit 40 Jahren nennt man sie "Marmormänner". Einer lag als Wachsleiche am Bahndamm, die anderen drei sind perdu. Unruhe in der kleinen Stadt: Die Kleider eines Verschwundenen kommen ans Licht, ein Kind und seine Mutter werden entführt. Sorgsame Milieustudie über Vergessen, Verdrängen, Verschütten.
9 (-) Mark Peterson: Flesh & Blood Aus dem Englischen von Karen Witthuhn, Rowohlt, 384 S., 9,99 €.
Brighton. Cops gegen Gangsterbosse – die raue, schnelle Story passt wie die Faust ins Auge von Sussex. Im Drogen- und Vergnügungsparadies an Englands Südstrand findet DS Minter seine Bestimmung: Ermitteln in Elend und Dreck. Schnörkelloses Debüt. Peterson kennt sich aus.
10 (9) Cathi Unsworth: Opfer Aus dem Englischen von Hannes Meyer, Suhrkamp, 384 S., 14,99 €.
Ernemouth, Norfolk. Privatdetektiv Sean Ward, im Polizeidienst verkrüppelt, rollt den Fall der "Hexe des Ostens" erneut auf. 1983: Teenie-Rivalitäten eskalieren im Ritualmord. 2003: Alte Säcke verteidigen die liebe Macht. Tolles Brit-Stück. Perfekt reanimierte Gothic-Atmo. Unsworth wiederentdeckt.
Ein Autor ist ein Mensch, der seiner Fantasie ein Gesicht verleiht.